Tschernobyl und Sandoz

Kernkraftwerk vor der Katastrophe

Das Motto und das Plakettensujet 1987
Am 26. April 1986 ereignete sich im russischen Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine ein Reaktorunfall. In vielen Ländern der Welt waren die Menschen in den Tagen nach dem Unfall besorgt über die ungewissen Folgen dieses Ereignisses. Dies wurde durch die zögerliche Informationspolitik der sowjetischen Behörden noch verstärkt. Erst nach Monaten konnte man als Laie das Ausmass des Unfalles abschätzen.

Fasnachtsvereine, die eine Plakette mit Motto prägen lassen, müssen frühzeitig ihrem Lieferanten die entsprechenden Unterlagen zukommen lassen. In Anlehnung an das Unglück und in Unkenntnis um die Tragweite des Reaktorunfalles, wählte die Dorffasnacht Biberist am 16. September 1986 das Motto:

Biber-Obyl.

Gipsmodell der Plakette

Die verantwortlichen Fasnächtler wollten mit dieser Plakette auch ein Zeitgeschehen dokumentieren, wie es bereits auf verschiedenen Biberister Fasnachtsplaketten der Fall ist. Mit einem Zeichnungsentwurf gab man dem Plakettenhersteller den Auftrag zur Herstellung der Plaketten.

In der Nacht zum 1. November 1986 brach in einer Lagerhalle für Agro-Chemikalien im Sandoz-Werk Schweizerhalle (BL) ein Grossbrand aus. Flammen schossen hoch in den Nachthimmel.

tote Aale am Rheinufer

Der Gestank der Rauchgaswolke versetzte eine ganze Region in Angst und Panik. Kein Wunder: Denn in der Halle lagerten 1246 Tonnen Chemikalien. Der Grossbrand war bald im Griff. Die schätzungsweise 10'000 Kubikmeter Löschwasser, vermischt mit Chemikalien, führten jedoch zu einem grossen Fischsterben im Rhein. Dieser hatte sich durch den Löschwasser- und Chemie-Mix rötlich gefärbt.

Für viele Menschen wurde "Schweizerhalle" zum Sinnbild einer nicht beherrschten Technik - ähnlich wie der Reaktorunfall von Tschernobyl einige Monate zuvor.

Plakette 1987

Diese beiden tragischen Ereignisse, sowie praktisch zeitgleich die Informationspanne des KKW Mühleberg, waren auch für den Vorstand zuviel. In der Meinung, dass das Motto "Biber-Obyl" den Leuten in den falschen Hals kommen könnte, wurde auf Sonntag, 16.11.1986, eine Vorstands-Sitzung beim damaligen Säckelmeister, Roland Kohler, einberufen. Es war allen klar, dass mit den jetzigen Erkenntnissen und zwischenzeitlichen Ereignissen das Motto "Biber-Obyl" falsch interprtiert würde. Das allgemeine Kratzen am Hinterkopf führte zum Mottobeschluss "Es chräbelet".

Lotti und Roland Kohler, beide Schnitzelbankgruppe Risnegu, fuhren am Montag nach der sonntäglichen Sitzung mit dem Auto nach Luzern zur Firma Gravura AG. Diese hatte bereits das Gipsmodell für die Plakette fertig. Zuvorkommend erklärte sich jedoch die Firma Gravura AG bereit, das neue Motto zu übernehmen.

Als Sujet auf der Plakette ist der Ämmeschnägg sinnigerweise mit dem Narrenspiegel zu sehen.

Gemeindehaus Biberist

Zwischenzeitlich war auch das alte Fasnachtsmotto der Biberister Dorffasnacht in den Printmedien erschienen. Der Gemeinderat von Biberist tagte zufälligerweise gleichentags, wie die Dorffasnacht das Motto bei der Gravura AG bereits ändern liess, nämlich am 17.11.1986. Im Gemeinderat wurde das Motto "Biber-Obyl" zum Thema gemacht. Aus dem Bericht in der Solothurner Zeitung vom Dienstag musste man schliessen, dass es für die Politik einfacher ist über einen Dorfverein herzufallen, anstatt sachlich zu politisieren.

Der damalige Gemeindeammann, Alois Zuber, übernahm es, dem Obernarren Werner Jäggi, klar zu machen, dass das Motto zu ändern sei. Dieser Anruf und das Verhalten des Biberister Gemeinderates löste beim Ober eine Krise aus und die Folge war, dass der Obernarr die Amtsenthebung vom Schmutzigen Donnerstag 1987 ganz klar in Frage stellte. Werner Jäggi gab auch ganz undiplomatisch dem Ammann seine grosse Enttäuschung über den Biberister Gemeinderat bekannt. Dies umso mehr, dass die Politiker von Diplomatie auch nichts verstehen und alles was das Motto betrifft zu diesem Zeitpunkt bereits geregelt war.

Zeitungsente

Die negativen Leserbriefe in der Solothurner Zeitung und die anonyme Karte verbesserten in den folgenden Tagen die Stimmung des Obernarren gar nicht. Als ihm der Kragen platzte verlangte er bei der SZ ein Interview mit dem zuständigen Redaktor. Nach dem Erscheinen eines Berichtes von diesem Interview herrschte wieder Ruhe im Blätterwald.

Als sich der "Raktor" des Obernarren wieder abgekühlt hatte, konnte in einem späteren Telefongespräch mit dem Ammann, der Streit beigelegt werden und am Schmutzigen Donnerstag 1987 fand die Amtsenthebung statt, als ob nichts passiert wäre.

Interessant war dann die Fasnacht 1987. In Basel wurde der Brand in Schweizerhalle und der Reaktorunfall in Tschernobyl zum Teil auf makabere Art als Fasnachtssujet gebraucht. Für die lieben Leute von Biberist und Umgebung war dies aber kein Grund, deshalb Leserbriefe zu schreiben.

Hinweis: Das Gipsmodell mit dem Plaketten-Sujet "Biber-Obyl" hatte die Firma Gravura AG dem damaligen Obernarren ausgehändigt. Der Plakettenrohling (Gipsmodell) wurde bisher nie veröffentlicht und wurde erst nach mehr als 20 Jahren zum ersten Mal auf dieser Website veröffentlicht.

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